GRÜNE INSEL
IRLAND
Anfang 2021 befinde ich, dass es wieder Zeit ist für ein besonderes Abenteuer. Ich verspüre den Drang nach Freiheit, nach Zeit für mich, nach Erlebnissen neuer Art, nach Kontakten mit dem Unbekannten, nach spannenden Dingen und nach viel Motorradfahren… Mein lange geplanter Roadtrip nach Wales und Schottland fällt der COVID-19-Pandemie zum Opfer, deren Ausläufer eine Reise ins Vereinigte Königreich aufgrund der umfangeichen medizinischen Auflagen in diesem Jahr unsinnig macht, also muss ein Plan „B“ her. Meinen derzeitigen Wohnort Deutschland finde ich aktuell auf der grünen COVID-Liste des Rialtas na hÉireann (Government of Ireland) und so befasse ich mich in den folgenden Tagen mit den Einreisebestimmungen und den in dieser Zeit speziellen Auflagen und entscheide, dass Irland als Destination 2021 in Frage kommt. Ein Abenteuer lohnt sich an sich, also auf nach Irland.
Es ist schon eine mittlere Herausforderung, einen knapp vierwöchigen Roadtrip über den Nordatlantik und einmal um eine ganze Insel herum in der kurzen Zeit zu planen, die mir bis zum Urlaubsanfang noch zur Verfügung steht. Hier ist meine Erfahrung in Puncto Reiseplanungen eindeutig von Vorteil. Schließlich weiss ich, wie ich meine Reise in das Land der Kelten und Wikinger gestalten möchte und es liegt ein detailliert durchgeplantes Roadbook vor mir, die Sehenswürdigkeiten sind eingepflegt, Tickets und einige Übernachtungen gebucht, es kann losgehen...
Was ich mitnehme, wenn ich auf große Reise gehe? Diese Frage begegnet mir öfter und sie ist im Grunde einfach zu beantworten: Nicht mehr, als ich auf eine kleine Reise mitnehme – und selbst dann stellt sich in der Regel heraus, dass es noch zu viel war. Dieses Mal habe ich effektiv zwei T-Shirts gebraucht, vier hatte ich mit dabei und von den drei eingepackten Hosen habe ich nur zwei getragen. Hier habe ich also Optimierungspotenzial, das merke ich mir für die nächste Reise. Es macht natürlich einen Unterschied, ob ich im Zelt übernachte oder mich in verschiedenen Unterkünften einquartiere und auf weitere individuelle Umstände, aber die Grundausrüstung ist ziemlich minimalistisch gehalten.
Ich starte am Mittwoch, den 11. August. Von meiner Homebase im Schwarzwald aus geht es via Iffezheim nach Roppenheim in Frankreich und über Metz und Reims bis nach Crèvecœur-sur-l'Escaut, wo ich auf einer alten Ferme in eine neu ausgebaute Scheune einziehe. Für die erste Nacht meiner Reise nenne ich eine ganze Halle mein Eigen – ich überlege sogar, mein Motorrad mit hereinzufahren, was durchaus möglich gewesen wäre, lasse von diesem Gedanken angesichts des neuen und herrlich schönen Bodenbelags jedoch wieder ab. Zwar waren die ersten 679 Kilometer von langweiliger Autobahnfahrt geprägt, aber ich will ja auch mal an der eigentlichen Destination ankommen, da nehme ich das gerne in Kauf. Außerdem ermöglichen es mir diese ersten Etappen jeweils, mich und meine Lady auch fahrerisch auf die vor uns liegende Reise einzustimmen. Ich kann nicht umhin ehrlich zuzugeben, dass ich manchmal etwas über diejenigen Motorradfahrenden lächle, die ihren auf Anhängern verladenen Bikes in Autos hinterherfahren, aber das soll jede und jeder so handhaben, wie es für sie und ihn am besten passt. Für mich heißt Motorradreisen, wirklich mit dem Motorrad zu reisen und das beginnt mit dem ersten Meter ab der heimischen Garage. Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen.
Tags darauf muss ich trotz vorhandener Vollimpfung zum PCR-Test, damit ich eine COVID-19-Infektion mit einem negativen Testergebnis nachweislich ausschließen kann, um auf die Fähre nach Irland gelassen zu werden und auf die Insel zu dürfen. Eines der Testzentren befindet sich nur 15 Kilometer von meiner Halle entfernt in Cambrai und so schnell wie der Test durchgeführt ist, bin ich auch wieder draußen aus dem Institut. Hier muss ich den französischen Institutionen ein Kränzlein winden! Ohne große Wartezeit den Test durchgeführt und in Rekordzeit von vier Stunden das Testergebnis vorliegen zu haben, das schafft selbst die Schweiz nicht in dieser Zeit. Jetzt ist also auch definitiv sicher, dass ich auf die Insel und mein Abenteuer Irland erleben kann! Wieder zurück in der Halle noch kurz die Passenger Locator Form ausgefüllt (Go raibh agat as an Fhoirm Aimseartha Paisinéara a líonadh amach le haghaidh cead isteach go hÉireann. / Vielen Dank, dass Sie das Formular zur Passagierortung ausgefüllt haben.) und ab auf die zweite Etappe, die mich in die Normandie genauer nach Les Loges führt, wo ich vor der Überfahrt nach Irland noch einen Zwischenstopp einlege, um die Batterie Allemande de Longues-sur-Mer und den Omaha Beach zu besuchen. Ein sehr eindrücklicher und bewegender Besuch, der mich nachdenklich stimmt. Schwer vorstellbar, dass an diesen schönen Orten Zehntausende ihr Leben für die Freiheit ließen. Heute kraxeln die Menschen auf den Bunkern herum – was ich angesichts des ernsten geschichtlichen Hintergrunds als etwas respektlos empfinde –, vergnügen sich und baden am Strand, an dem so viel Leid geschah und so viele junge Männer um ihr Leben und oftmals in den Tod rannten.
Von der Halle geht es in ein rotes Chalet, einem perfekten Glamping auf einer Wiese zwischen den Bäumen und nach einem auf meinem Camping-Kocher erhitzten Eintopf noch aus heimischer Küche verbrachte ich eine wunderbar ruhige Biker-in-a-box-Nacht. Biker-Buddy Didi meinte dazu lediglich, ich solle aufpassen, dass man mich nicht irrtümlich in der Box nach Irland verschicke… - Biker haben einen wunderbar speziellen Humor.
Wo man auch ist, überall in Irland trifft man auf einen schönen, bunten Vogel, den Celtic Peacock. Dieser stilisierte schöne, bunte Vogel in der keltischen Symbolik des Pfaues steht gilt als Synonym für Transzendenz, Freiheit und Unsterblichkeit, aber auch für Luxus und Reichtum. Die Kelten glaubten, dass der Vogel die Fähigkeit hat, in den göttlichen Himmel, die Anderswelt, aufzusteigen, weshalb der Pfau Sinnbild ist für die Befreiung der menschlichen Seele. Die Darstellung eines Pfaus ist in Irland weitverbreitet und wird vor allem im Zusammenhang eben mit der Freiheit aber auch mit der Gesundheit gebracht. In der keltischen Kultur spielten Vögel im Allgemeinen eine bedeutende Rolle dabei, die Botschaft der Götter in Form von Prophezeiungen für die Lenkung der Geschicke auf Erden zu den Menschen zu bringen, was sie in einer handlungsauslösenden Rolle zu Vermittlern zwischen Himmel und Erde, Göttern und Menschen machte. Durch ihre vielfältigen Fähigkeiten (Fliegen, Schwimmen, Tauchen) wurde ihnen eine Verbindungsfunktion zwischen den Elementen Erde, Luft und Wasser zugeschrieben. Die bunten Federn des Pfaus repräsentieren die Sonnenstrahlen und den Beginn des neuen Tages. Die Druiden trugen die Pfauenfeder in Form eines verzierten Federmantels hauptsächlich bei Veranstaltungen, um die Himmelsgötter herbeizurufen und dadurch Wissen über das himmlische Reich zu erlangen. Die keltische Kultur glaubte, dass das Federkleid und die Anwesenheit des Himmelsgottes dem Druiden helfen würden, die irdische Ebene zu übersteigen. Darüber hinaus repräsentierten die Federn ihrer Mäntel auch Weisheit, Schönheit und Autorität.
Meine Stimmung ist speziell, als ich auf der Insel ankomme. Die seit 8000 v. Chr. gewachsene Geschichte und die durch die Kelten und Wikinger geprägte Kultur der „Grünen Insel“ scheinen in jedem Stein noch heute präsent. Die Nächte allein in der Natur in meinem Zelt waren denn auch sehr eindrücklich und manchmal hörte ich den Wind erzählen von den alten Zeiten. Aber fangen wir vorne an…
Die Irische See ist mir wohl gesonnen, sie verschont mich mit Übelkeit und lässt die Fähre satte zwei Stunden früher als erwartet am Quay in Rosslare anlegen. So habe ich genügend Zeit für eine Ehrenrunde zum John F. Kennedy Arboretum and Garden bei New Ross, Grafschaft Wexford. Das Memorial zu Ehren von JFK erinnert daran, dass sein Urgroßvater 1820 in der nahegelegenen Ortschaft Dunganstown zur Welt kam. Nach einem Abstecher nach Kilmore Quay fahre ich stetig landeinwärts zu meiner heutigen Destination Cashel in der Grafschaft Tipperary. Es hat kurz nach Kilmore Quay zu regnen begonnen und hört auch nicht mehr auf, bis ich bei der Cashel Lodge auf den Hof fahre. Eine Portion Spaghetti aus der Mikrowelle, eine heiße Dusche und ein weiches Bett und der erste Tag in Irland ist Geschichte. Nun befinde ich mich also in diesem sagenumwobenen, rauen Land, das mich schon so lange magisch anzieht, und lasse die ersten Eindrücke auf mich wirken. Der Regen ist kein Thema, ich habe mich darauf eingestellt, dass es in Irland öfter nass ist und das Wichtigste dabei: meine in Offroad-Stiefeln steckenden Füße sind durch die wasserdichten Überschuhe gut geschützt und trocken.
Die Stadt Cashel ist einen Besuch wert und so nutze ich den Sonntagvormittag für eine kleine Sightseeing-Tour. Das imposante Cashel of the Kings, ein einzigartiges Monument irischer Geschichte, thront auf dem 65 Meter hohen Hügel über dem kleinen Ort wie eine Beschützerin des Volkes. Eine Legende erzählt, dass der heilige St. Patrick – ein von keltischen Kriegern aus Wales entführter Sohn eines wohlhabenden Priesters und Gutsbesitzers, der daraufhin mehrere Jahre in Irland Sklavendienste verrichten musste und heute der Nationalheilige aller Iren ist –, 450 n. Chr. während der Taufzeremonie für König Aengus eben diesem versehentlich den Bischofsstab in den Fuß gerammt haben soll, was dieser wiederum für einen Teil der Zeremonie hielt und stoisch und ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben, ertrug. In Cashels Gassen wimmelt es von Pubs und Bars und die immer freundlichen Iren grüßen einen auf der Straße; ich fühle mich fast ein bisschen wie in der Schweiz.
Die tags darauffolgende Etappe kann man gut und gerne als anspruchsvoll bezeichnen. Weicht man von den gut ausgebauten Küstenstraßen ab – und das tat ich oft – verlangen einem die schmalen, mittig teils mit Gras bewachsenen und nicht in bestem Zustand anzutreffenden irischen Nebenstraßen einiges ab. Vor allem in den Kurven liegt oftmals Split (warum gerade da?) und sind irische Straßen nass - und das sind sie oft! - wird’s rutschig; slippery when wet! Insgesamt waren diese 240 Kilometer jedoch vom Feinsten!
Als Schweizerin will ich natürlich wissen, was die Iren unter einem „Swiss Cottage“ verstehen und ich fahre deshalb nach Cahir. Corona bedingt ist das Gelände leider geschlossen, aber eine angebrachte Tafel informiert mich über das Wohnhaus: „Das romantische, anmutige Swiss Cottage-Orné blickt von seiner erhöhten Position an der Spitze der Steintreppen über den Fluss Suir. Erbaut um 1810 von Richard Butler, dem 1. Earl of Glengall, war dieses Zierhäuschen Teil des Anwesens von Lord und Lady Cahir und ist einen Besuch wert. Es wurde nach einem Entwurf von John Nash (1752 - 1835), einem der führenden britischen Architekten dieser Zeit, gebaut, zu dessen Entwürfen auch der Buckingham Palace gehört. Das Swiss Cottage bietet im Sommer einen malerischen Blick über den Fluss und zieht Zugvögel wie Schwalben und Mauersegler an.“ Was ein riedbedecktes Dach allerdings mit der Schweiz gemeinsam haben soll, erschließt sich mir nicht ganz, denn wir kennen eher den Schieferstein als Dachbedeckung hauptsächlich auf den traditionellen Schweizer Häusern. Entschädigt dafür, dass ich das Swiss Cottage nicht bestaunen konnte, werde ich auf dem weiteren Verlauf meiner heutigen Fahrt mit dem Vee Pass, einer Lücke in den Knockmealdown Mountains in Clogheen, und den Pancakes mit Kaffee, die ich auf der Passhöhe genoss.
Der Höhepunkt aber ist heute mit Sicherheit der Old Head of Kinsale - einfach grandios diese Küste! Das kann man weder in Worte fassen noch in ein Bild bannen, das muss man gesehen und gefühlt haben! Mein Nachtlager habe ich am Coolmain Beach aufgeschlagen und lasse mich von der Meeresbrandung in den Schlaf wiegen.
Nach einem frühmorgendlichen Spaziergang mit Kaffee am Strand will ich heute etwas ins Hochland, da ich die nächsten Tage der Küste entlangfahren werde. Das lässt auch die heutige Etappe anspruchsvoll werden, denn es erwarten mich dieselben grasbewachsenen Wege, die ich tags zuvor kennengelernt hatte, wobei zünftige Steigungen und waghalsige Anfahrten dem ganzen zusätzlich eine spezielle Note geben. Ich wage zu behaupten, dass dies schon Offroad-Charakter hat. Weniger geübten Fahrern ist empfohlen, auf den Hauptstraßen zu bleiben, aber ich experimentiere eben gerne herum. Eine Abzweigung muss ich heute übersehen haben, denn ich fahre schnurstracks zum Sheep‘s Head und lasse den Mizen Head schnöde links liegen. Nach einem nur kurzen Halt beim Sheep‘s Head (der mich übrigens nicht begeistern kann), einem Kaffee und einem Stück Zitronencake also wieder zurück, einmal um die Bucht herum und den Mizen Head geentert, der mir erheblich besser gefällt. Der nette Garda (Polizist), der mich auf dem Wild Atlantic Way angehalten und ein bisschen mit mir geplaudert hat, hatte nicht zu viel versprochen. Ursprünglich wollte ich irgendwo in der Nähe des Sheep‘s Head mein Nachtlager aufschlagen, wovon ich aber Abstand nehme, da er mir dann doch zu windig und ziemlich unfreundlich ist. Kurzentschlossen bereits ein Stück der für den kommenden Tag geplanten Route folgend, finde ich am Priest‘s Leap einen herrlichen Platz für mein Zelt mit einem fantastischen Blick über das Cork County.
Der Priest’s Leap – englisch für „Der Sprung des Priesters“ – ist eine schmale und sehr steile einspurige Passstraße, welche ungefähr 580 Meter vor der Passhöhe die beiden Countys Cork und Kerry kreuzt. Sie ist die höchste Passstraße Irlands und somit ist es für mich Pflicht, sie zu befahren. Die Namensgebung ist auf eine Legende zurückzuführen, wonach sich ein Priester mittels eines wundersamen Sprungs mit seinem Pferd von einem Felsvorsprung seinen Verfolgern entzog. Im Jahr 1600 wird der Priest’s Leap in einer Landkarte als The Priest‘s Lepp erwähnt. Diese anspruchsvolle Straße will ich also unbedingt fahren und mir die umliegende Gegend und die südliche Bantry Bay von oben ansehen.
Es folgt ein erlebnisreicher Tag mit einigen interessanten Zwischenstopps. Durch die wilde Natur Irlands fahre ich über die spektakulär ansteigende Straße auf den Healy Pass in den Caha Mountains in Richtung Beara-Halbinsel. Obwohl es nur 199 Kilometer bis zu meinem nächsten Logis in Kenmare sind, verbringe ich den ganzen Tag auf dem Motorrad, sodass ich den Ring of Beara erst in der beginnenden Abenddämmerung erreiche – ein sehr besonderes Erlebnis. Hier bietet sich mir eine 140 Kilometer lange, atemberaubende Küstenszenerie entlang der ursprünglichen Beara-Halbinsel. Die bergige, mit nur wenigen Wäldern bewachsene, Halbinsel endet beim Dursey Island. Ich lasse es mir nicht nehmen, die einzige Cable Car (Kabelbahn) Irlands in Augenschein zu nehmen. Die Tickets für die Überfahrt mit der Cable Car kann man nicht vorbuchen, sie sind ausschließlich an Ort erhältlich. Es gilt: first come, first served (wer zuerst kommt, fährt zuerst). Tiere und insbesondere Schafe haben Vorrang vor dem Menschen und die Bewohner Dursey’s fahren vor den Touristen. Ziemlich windig ist es hier und auch die beiden argentinischen Reiseleiter auf Urlaub, die ich an der Haltestelle treffe, sind froh über die Gelegenheit, bei Murphy’s Ice Cream einen heißen Kaffee zu bekommen.
Wenn ich wieder einmal nach Irland komme - und das werde ich! - plane ich so, dass ich eine Nacht in diesem Tal verbringe. Die Krönung des Black Valley ist das Gap of Dunloe mit seinen dahinterliegenden Seen. Und wer trifft sich dort? Die Schweiz natürlich, ein Rendezvous von Aargau, Basel und Sankt Gallen - cool! Nach etlichen Tagen Abstinenz von der Muttersprache genieße ich den Schwatz mit den Schweizer Jungs, nichts ahnend, dass ich sie noch einmal wiedersehen würde. Über den Ladies View geht’s schließlich wieder Richtung Küste. Aufgrund des kurz darauf einsetzenden Regens kürze ich die Tour heute und suche mir bereits in Caherdaniel einen Platz für die Nacht. Es gibt bekannterweise kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechtes Equipment. Und da meines definitiv gut und erprobt ist, habe ich es warm und gemütlich, genieße eine Minestrone-Suppe und Kaffee und freue mich auf den nächsten Tag.
Auf dem Ring of Kerry von Caherdaniel zum Slea Head reihen sich die Strände aneinander wie Perlen auf einer Schnur, einer schöner als der andere. Wer nach Irland keine Zeit mitbringt, ist selbst schuld. Einen Geheimtipp möchte ich nicht für mich behalten: den Dunmore Head, der westlichste Punkt der Dingle-Halbinsel, mit seinen steilen Klippen und dem kleinen Sandstrand. Erinnerst du dich an die Thala-Sirene in „The Last Jedi“ aus der Serie Star Wars? Der Dunmore Head, Dún Chaoin, ist einer der Drehorte. Es gibt zwar keinen richtigen Weg entlang des Felsvorsprungs, aber es ist nicht allzu schwer, an den Drehort zu gelangen. Allerdings sollte man vorsichtig sein und sich nicht zu nahe an den Rand der Klippen wagen, denn unten heil anzukommen, wäre wohl mehr als nur Glück. Hier schlage ich heute mein Nachtlager auf und sichere das Zelt gut gegen den sehr kräftigen Wind. Die Iren sind ein supernettes Volk und plaudern gerne. Ein Einheimischer hält an und fragt, ob ich alles hätte und ob er mir Wasser bringen solle. Danke, ich habe alles, was ich brauche. Die Einladung zum Frühstück und einer warmen Dusche hingegen, die ich von zwei besorgten Damen erhalte, nehme ich gerne an. Also werde ich morgen in der Früh beim Haus mit der blauen Tür anklopfen…
Den Vormittag verbringe ich damit, mit den neuen Bekannten zu frühstücken, Geschichten auszutauschen und den Dunmore Head zu besteigen. Ich kann mich nur schwer trennen von diesem grandiosen Flecken Erde, muss dann aber doch langsam los, schließlich will ich hoch nach Ballyvaghan, damit ich morgen auf meine Bootstour zu den Cliffs of Moher kann. Also heißt es Strecke machen. In Ballyvaghan beziehe ich ein sehr hübsches B&B-Zimmer wasche mal wieder meine gesamte Wäsche durch, bis der Hausalarm losgeht - gut, er ging nicht deswegen los, aber lassen wir das… Das war’s dann auch für heute, ich bin zufrieden und hungrig, also werde ich mir im B&B-Bad noch eine Pilzsuppe kochen - hoffentlich geht der Hausalarm nicht wieder los...
Die bemalte Hausfassade befindet sich im Städtchen Cahersiveen an der Adresse Barr na Sráide. "Boys of Barr na Sráide" ist ein bekanntes irisches Lied aus einem Gedicht des irischen Dichters Sigerson Clifford (1913-1985). Es ist nach der Straße (irisch: Barr na Sráide „oben auf der Straße) in Cahersiveen in der Grafschaft Kerry, benannt.
Das Gedicht erinnert an das Leben der Jugendfreunde Cliffords von der Kindheit über die Black-and-Tan-Zeit bis zum Bürgerkrieg. Es handelt von der irischen Tradition der Jagd nach dem Zaunkönig (Wran), einem kleinen Vogel, am St. Stephen's Day, dem 26. Dezember.
Boys Of Barr Na Sráide
Oh, the town, it climbs the mountains and looks upon the sea
At sleeping time or waking time it’s there I’d like to be.
To walk again those kindly streets the place where life began
With the Boys of Barr na Sráide who hunted for the wren.
With cudgels stout they roamed about to hunt for the dreólín
We searched for birds in every furze from Litir to Dooneen.
We danced for joy beneath the sky, life held no print nor plan
When the Boys of Barr na Sráide went hunting for the wren.
And when the hills were bleeding and the rifles were aflame
To the rebel homes of Kerry the Saxon strangers came,
But the men who dared the Auxies and fought the Black and Tan
Were the Boys of Barr na Sráide who hunted for the wren.
But now they toil in foreign soil where they have made their way
Deep in the heart of London or over on Broadway,
And I am left to sing their deeds and praise them while I can
Those Boys of Barr na Sráide who hunted for the wren.
And here’s a health to them tonight wherever they may be
By the groves of Carhan river or the slope of Bean a‘ Tí
John Daly and Batt Andy and the Sheehans, Con and Dan,
And the Boys of Barr na Sráide who hunted for the wren.
When the wheel of life runs out and peace come over me
Just take me back to that old town between the hills and sea.
I’ll take my rest in those green fields, the place where life began
With those Boys of Barr na Sráide who hunted for the wren.
Nach einem Ruhetag, den ich damit verbrachte, im nördlichen County Clare die berühmten Cliffs of Moher auf einer Bootsfahrt aus der Nähe anzuschauen, einen geschichtlichen Exkurs zum Caherconnell Cashel und in die Aillwee Caves zu unternehmen, setze ich meine Reise fort in Richtung County Galway. Erstaunlicherweise habe ich auf meinem Irland-Trip schönere Orte gesehen als das Cliff of Moher, dessen Gegend touristisch ziemlich überlaufen ist. Im County Galway angekommen, empfangen mich Myriaden von Mücken, die den längeren Aufenthalt vor allem auf den Wiesen und an Süßwassern, die es hier reichlich gibt, schier unerträglich machen. So bin ich froh, dass ich bald das County Mayo in der Provinz Connacht erreiche. Das County Mayo (irisch: Maigh Eo) ist eine wenig bekannte Schönheit in Irlands äußerstem Westen und wird gerne auch als Hochburg der Künstlergilde bezeichnet. Hier finden sich tatsächlich etliche von Künstlern und Künstlerinnen geradezu in Beschlag genommene Ortschaften und auch das Straßenbild wird dem künstlerischen Ruf sichtbar gerecht. Die landschaftliche Schönheit und die Ursprünglichkeit des County Mayo ist überwältigend!
Von einem dunklen Kapitel in der Geschichte des County Mayo zeugt der Children’s Graveyard in Letterfrack. Bei den „Letterfrack boys“, wie man sie auch nennt, handelte es sich vorwiegend um verwaiste Kinder und Jugendliche oder um solche, die bei kleinen Vergehen wie dem Diebstahl von Esswaren erwischt und daraufhin in den Jahren 1888 bis 1974 in die Letterfrack Industrial School gebraucht wurden. Während ihres 86-jährigen Bestehens durchliefen 2819 Jungen die Schule und es ist von körperlichen und sexuellen Misshandlungen, Essensentzug, Hunger und Krankheiten die Rede. Auf einem Gelände hinter der ehemaligen Schule ist ein Friedhof angelegt, auf dem zur Erinnerung an die gestorbenen Kinder Steinherzen mit deren Namen und Alter aufgestellt sind. Es beschleicht einen ein beklemmendes Gefühl, wenn man an diesem eigentlich schönen Ort mitten im Wald zwischen den Gräbern entlanggeht und die Inschriften liest.
Am beeindruckendsten sind für mich heute die White Cliffs of Ashleam, an denen ich deshalb auch mein Nachtlager aufschlage. Könnte ich mir einen Ort in Irland aussuchen, an dem ich leben wollte, dann wäre das wohl im County Mayo irgendwo an einem Fluss mit den Bergen in der Nähe. Auffallender Weise sind die Straßen hier besser in Stand gehalten - oder aber ich habe mich einfach nur an den Split und an die Tatsache gewöhnt, dass man andauernd in gefühlt leichter Schräglage fährt und nicht einmal als Motorrad überall mit einem Auto kreuzen kann. Es war eine fahrerisch wenig anspruchsvolle, sehr schöne Tour.
Ich muss ein bisschen Strecke machen. Da die nächste Etappe eh etwas länger geplant ist und ich die 30 Kilometer, die ich gestern an den White Cliffs of Ashleam gelassen hatte, wieder einbringen muss, kommt es mir entgegen, dass ich über die weiteste Strecke schön am Gashahn ziehen kann. Ja, man kann in Irland auch schnell fahren. Meine Reifen machen mir weniger Freude. Unglaublich, wie viel Gummi die irischen Straßen mit ihrem rauen Belag fressen! Auf dem Weg ins County Sligo mache ich einen kurzen Abstecher zur Slievemore Bay, Keel West. Eine wunderschöne, kleine Bucht, eingebettet zwischen zwei Hügelflanken und wunderschön einsam, vorausgesetzt, man besucht sie vor der Mittagszeit, bevor die sonnenhungrigen Erholungssuchenden den kleinen Parkplatz in Beschlag nehmen und den Strand bevölkern. Die Fahrt durch den Ballycroy Nationalpark ist ein Genuss an Einsamkeit, die Routenwahl erweist sich einmal mehr als ausgezeichnet. Das urtümliche Regenmoor säumt mit unzähligen Bächen und Seen die Straße und ist eine Augenweide. Immer wieder sieht man weiße Säcke im Moor liegen an den Stellen, an denen sorgfältig und mit Rücksicht auf die empfindsame Natur der Torf abgebaut wird. Mangels Alternative - ich konnte keine geeignete und ausreichend trockene Stelle für ein Wildcamp finden - fahre ich schließlich von meinem Abstecher zum Wasserfall am Glencar Lough zurück auf den Wild Atlantic Way und auf den Campingplatz direkt neben dem Sligo Airport im gleichnamigen County Sligo, wo mich ein überdurchschnittlich gutaussehender Schrankenwächter freundlich begrüßt und einfahren lässt. Sligo bedeutet „Platz der Muscheln“, da die Küste vor Sligo bekannt war für ihre reichen Vorkommen an Schalentieren. Und da treffe ich sie abends um halb acht wieder, die Schweizer Jungs vom Moll’s Gap, schon hübsch eingerichtet, die Zelte fein säuberlich im Halbkreis drapiert, frisch geduscht ins Ausgeh-Outfit gekleidet, Frisuren und Bärte gekämmt und bereit für Pizza und Bier. Während die Jungs sich dem kulinarischen Teil zuwenden, baue ich schnell mein Zelt auf und gönne mir zur Abwechslung auch mal wieder eine zivilisierte Dusche, was ich angesichts der männlichen Gesellschaft als durchaus angebracht konstatiere. Anstelle der Fertigpizza vom Camping-Imbiss werde ich mir jedoch frische Ravioli einverleiben, die ich unterwegs in einem kleinen Ladengeschäft gekauft habe. Bei der anschließenden kleinen Biker-Runde am Feuer gibt es allerlei Gesprächsstoff. Ich schätze es ja, wenn ich hin und wieder einmal männliche Gesellschaft genießen und mich ein wenig betüddeln lassen darf, weshalb mir aber die Vertreter des männlichen Geschlechts alleweil die Welt erklären wollen, vermag ich auch an diesem Abend nicht wirklich zu ergründen und mit dieser Tatsache werde ich wohl nie abschließend klarkommen. Während ich einer der Auslassungen darüber „wie die Welt funktioniert“ lausche, erinnere ich mich daran, dass die Jungs beim Zusammentreffen am Moll’s Gap fragten, ob ich denn ganz allein unterwegs sei und auf mein Kopfnicken ziemlich erstaunt reagierten und anmerkten, sie würden sich nicht zutrauen, wochenlang allein unterwegs zu sein, weshalb sie auch hier in Irland zu Dritt fahren würden. Wie dem auch sei… ich beende den Tag mit einem Kaffee, während die Herren der Schöpfung schon friedlich schnarchend ins Land der Träume entschwunden sind.
Zeitig am nächsten Morgen packe ich meine Sachen und mache mich auf zur größten Bucht Irlands, der Donegal Bay „Bá dhun na nGall“, dem gemeinsamen Treffpunkt der Countys Donegal im Norden und Leitrim und Sligo im Süden. Ich möchte zu den 601 Meter hohen Slieve League, den sechshöchsten Klippen Europas. Entlang der herrlichen Küstenstraße habe ich das Classiebawn Castle im Visier, muss jedoch bald feststellen, dass das in den 1860er Jahren aus Sandstein erbaute Landhaus für mich unerreichbar ist. Auf 120 Hektar Land und von weiten Feldern umgeben, steht das einst der Familie Mountbatten gehörende Haus auf dem „Fairy Rock“; die Nachkommen des 2011 verstorbenen Besitzers Hugh Tunney möchten jedoch offenbar lieber in Ruhe gelassen werden. Das Land, auf dem das 1874 fertiggestellte Classiebawn Castle steht, war einst im Besitz der Familie O’Connor Sligo, wurde aber vom englischen Parlament konfisziert als Entschädigung für diejenigen, welche die irische Rebellion 1641 niederschlugen. Edwina, Countess Mountbatten of Burma, und ihr Gatte, der Flottenadmiral Louis Mountbatten, 1. Earl Mountbatten of Burma, Sohn eines deutschen Prinzen Battenbergs und Urenkel der englischen Königin Victoria, der im Zweiten Weltkrieg als oberster Befehlshaber der Alliierten diente und auch der letzte Vizekönig von Indien und Generalgouverneur des indischen Übergangsstaates war, aus dem die Republik Indien hervorging, erbten das Anwesen 1939 und ließen Strom und Wasserversorgung verlegen.
Edwina verstarb im Februar 1960, Lord Mountbatten wurde am 27. August 1979 bei einem Attentat der IRA durch eine Bombe auf seinem Boot vor der Küste umgebracht. Thomas Mc Mahon, ein Bombenexperte der IRA, installierte nachts in Mountbattens Fischerboot eine zwanzig Kilo schwere, ferngesteuerte Bombe. Mountbatten verließ den Hafen für eine Angeltour und als die ‚Shadow V‘ einige hundert Meter vor der Küste Mullaghmore Head umrundete, wurde die Bombe gezündet, wahrscheinlich per Fernbedienung von den Klippen aus. Die Bombe explodierte in einer Wassersäule, das Boot wurde völlig zerstört und Mountbattens Beine wurden abgerissen. Er wurde von Fischern noch lebend aus dem Wasser gezogen, erlag aber seinen schweren Verletzungen, bevor er das Ufer erreichte. Lord Louis Mountbatten, Kapitän der HMS Kelly, Admiral der Flotte, Sieger von Indien und Held von Burma, starb im Alter von 79 Jahren, mit ihm starben 15 Soldaten.
Um Classiebawn Castle ranken sich viele Geschichten. Eine authentische ist die des alleinlebenden, bitterarmen Freddy, der in den Diensten der reichen Herren von Classiebawn stand und das kleine Cottage in der Nähe bewohnte. Nach seinem Tod im Jahr 1960 fand man sein Heim fast ohne Holzmöbel vor. Freddy hatte sie zum Heizen verbrennen müssen, da er sich kein Brennholz leisten konnte. Sogar sein Bett hatte teilweise als Heizmaterial herhalten müssen. Freddys Geschichte ist bezeichnend für die heutige kapitalistische Zeit und sein Dasein ein trauriges Zeugnis dafür, wie wir mit weniger privilegierten Menschen in unserer Mitte umgehen. Ihm und den Bewohnern der verschwundenen Ortschaft Mullachgearr zum Gedenken errichteten die Einheimischen ein Mahnmal am Rande der Klippen der Donegal Bay:
„…Let’s make a pact, protect the poor.
Our Country we’ll renew
As seagulls cry o’er Mullaghmore,
Remember ‚Freddy‘,
Freddy McHugh.“
Beim Slieve Mountain angekommen zeigt sich einmal mehr, dass Motorradfahrer/-innen in Irland gern gesehene Gäste sind, denn anstelle mit dem alle paar Minuten auf den Berg fahrenden Bus oder auf die Klippen zu fahren oder den Weg zu Fuß zurücklegen zu müssen, winkt mich ein freundlicher Herr zu sich heran und öffnet für mich die Schranke, sodass ich auf dem steilen Weg die gewundene Straße bis ganz nach oben fahren kann. Ich stehe am Rande der Welt… Diesen Eindruck bekomme ich, sobald ich abgestiegen und an den Rand des Kliffs gegangen bin – überwältigend!
Bei der Fahrt durch das County Donegal bietet sich mir eine einzige Kaskade an sich aneinanderreihenden Wasserfällen, Flüssen und Bächen. Ich fahre über den Glengesh Pass weiter auf der Küstenstraße zwischen Adara und Maghera Beach, weit weg vom Trubel der geschäftigen Welt, und gönne mir am idyllischen Assaranca ‚Eas a‘Ranca‘ Wasserfall eine Pause. Den splitterfasernackt im eiskalten kleinen See des Wasserfalls schwimmenden, stattlichen Mann ignoriere ich so gut wie mir eben möglich und richte meine Aufmerksamkeit stattdessen auf das tosende Wasser und die spritzende Gischt und krame in meinem Tankrucksack nach einer Münze, die ich als Gabe an die guten Geister in den dort stehenden Pfahl stecken kann.
Etwa eine halbe Stunde vom Assaranca Wasserfall entfernt, liegt die kleine, 217 Einwohner zählende Siedlung Glencolumbkille.
In der Umgebung des abgelegenen und historisch interessanten Ortes findet man zahlreiche, teils 5000 Jahre alte Monumente und frühchristliche Spuren. Seine Bedeutung als religiöses Zentrum verdankt Glencolumbkille dem Heiligen St. Columba, einem Spross des irischen Kriegsadels, der hier die Dämonen mit Steinwürfen ins Meer getrieben haben soll. Durch ein kleines Loch in einem Stein, der neben der Straße steht, soll das Paradies zu sehen sein. Vielleicht hätte ich einen Blick auf meinen verstorbenen Paps erhaschen können, entschied mich dann jedoch dazu, stattdessen mein heutiges Tagesziel Letterkenny anzustreben und ihn weiter in Gedanken auf meiner Reise mitzunehmen.
I got my toes in the water, a.. in the sand, not a worry in the world, a cold beer in my hand - life is good today, life is good today … Bevor ich nach Nordirland hinüberfahre, gönne ich mir einen Ruhetag an den nordwestlichen Stränden um Letterkenny, dem Berghang der Cannon Familie.
Langsam aber sicher nähere ich mich dem Ende meines Irland-Abenteuers und wie üblich, wenn mir Tatsachen dieser Art bewusst werden, werde ich etwas melancholisch und so bastle ich während der Fahrt gedanklich an einem Text basierend auf dem Song „Where I’ve Been“, der gerade durch mein Headset plätschert: „At
the coast of Ireland is where I done my time, somewhere in the Dunmore rain is where I lost my mind, Priest's Leap made me my money and Donegal made me lose it again, was off for the world hided at the Cliffs of Ashleam. I'm doing things as I please, don't ask others if they agree. Now I'm headed down to Dublin gonna see if the folks down there they like who I am. I'm on a fast track and I don't look back. Livin' how I want can you deal with that? Goin' down a road that's full of sin, been to hell by bike and back again. I can't tell you where I'm goin' but I tell you where I’ve been."
Nachdem ich bei den Dark Hedges im County Antrim eine kurze Pause eingelegt und das obligatorische Foto für meine Sammlung geschossen habe – The Dark Hedges haben, wie einige andere Orte in Irland, Einzug gehalten in die Kult-Serie ‚Game of Thrones‘ –, flüchte ich auch hier vor der Masse der die Buchenallee entlang spazierenden Touristen und fahre zum 5 Corners Guest Inn in Ballyclare, das ich mir wegen seines integrierten Irish Pub ausgesucht habe. Erstmals in Irland bekomme ich hier ein richtig gutes, dickes Steak serviert und genieße einen kurzweiligen und unterhaltsamen Abend inmitten der einheimischen Gäste, die mich auch etwas verwundert fragen, wie es mich in diese abgelegene Gegend verschlagen hat. Die Jugend hier erinnert mich an meine eigene Sturm- und Drangzeit im schweizerischen Allschwil, in dem ich aufgewachsen bin und mich zu meinen wilden, unbeschwerten Jugendzeiten – also um 1984 – 1987 – herumgetrieben habe. Auch wir saßen damals rauchend und schäkernd unflätig auf Holzbänken und Tischen herum und haben allerlei sinnbefreites von uns gegeben. Angesichts der übermütigen und ziemlich rauen Gesellen parkiere ich meine Lady direkt unterhalb meines Zimmerfensters und verpasse ihr heute Nacht zusätzlich das Scheibenschloss. Schließlich möchte ich nicht, dass einem der Jungspunde wegen allzu großem Übermut bei einer unüberlegten Handlung etwas Ungesundes geschieht.
Die 219 Kilometer über Belfast nach Dublin verlaufen unaufgeregt. Für eine kleine, unteraltsame Pause sorgt der Derriaghy Cricket Club am Queensway, dem ich beim Training zuschaue. Beim Bellingham Castle bin ich nicht wirklich willkommen – Kunststück, wird doch dort gerade Hochzeit gehalten und die edle Gesellschaft ist leicht irritiert über die Anwesenheit einer in brachialen Crossstiefeln daher stapfenden, verstaubten Bikerin. Ich schwatze mir dennoch ein paar Fotos ab und verziehe mich dann zwischen die Bäume der Schlossallee in den Schatten. Als ich mich und meine Lady durch das Schlosstor entferne, schließt es sich mit Nachdruck hinter mir. Das Glen of the Downs am Newtown Mount Kennedy, das ich kurz nach Dublin erreiche, entschädigt mich für die leicht abschätzige Behandlung beim Bellingham Castle, hier fröne ich die nächsten Tage ausgiebig der Dekadenz und lasse mich von hinten bis vorne betüddeln. Was mir regelmäßig zu herzhaftem Lachen verhilft, ist der Ausdruck in den Gesichtern der feinen Gesellschaft, wenn ich mit meiner, wie vorhin beschriebenen Erscheinung in einem Nobelschuppen auftauche und die distinguierte Atmosphäre kurzfristig ordentlich durcheinanderbringe. Daraus mache ich mir gerne einen Spaß und die Angestellten freut es in der Regel ohne Ausnahme. In eben diesem Glenview Hotel & Leisure Club wird mir gar ein Room-Upgrade zuteil, worauf ich mir eine Flasche Sekt aufs Zimmer bestelle und standesgemäß in der Badewanne am Gläschen nippe und mir süße Goodies einverleibe, bis mir Schwimmhäute wachsen.
Der letzte Tripp meines insgesamt 14-tägigen Irland-Abenteuers führt mich in einer klassischen Acht durch den Wicklow-Nationalpark – ein würdiger Abschluss einer unvergesslichen Reise.